Vom Diesel lassen und Aufgeben von Motorflächen ist in Essen nicht einfach. Blauäugig schaute man auf die Entwicklung von laufenden Prozessen bei anderen Städten und hoffte…
Wohl zu lange, denn Mahnungen und Hinweise auf anstehende Notwendigkeiten gab es schon lange zuhauf. Aber den „fließenden“ Verkehr und den Wahlbürger wollte man nicht verschrecken und tröstete mit dem oft wiederholten Satz… „warten wir mal die Rechtsentscheidungen ab, dann werden wir sehen…“. Nun ist sie da und kann wohl auch nur ein Anstoß sein, Bewußtseinsbildung braucht länger. Einige Wochen Treibstoffverdieselung im Ruhrtal zur Freude elitärer Wassersportler waren nur eine Spitze der in diesem Medium veröffentlichten Glossen, auch bei der Neuanschaffung von Bussen, die 24 Stunden über Essens Straßen dieseln, gab es keine Nachrichten, die auf ein Umdenken deuteten. „Wir werden mal sehen, was die Zukunft bringt, jetzt ist das alles noch zu teuer… “ antwortete man uns auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz im Kontext des Streckenausbaus.
Nun scheint die Stadt aber angekommen in der Realität gerichtlicher Auseinandersetzungen und ein Vergleich erzwingt Maßnahmen, als Alternative zu Dieselsperrungen, die als Forderung im Raume standen.
Während die in Essen als Opposition fungierenden Grünen das Gerichtsergebnis als notwendigen Antrieb zu Neuerungen feiern und eine zügige Umsetzung der Auflagen einfordern versucht die in Kooperation mit den Sozialdemokraten regierende Essener CDU das Ergebnis als positive Abwendung von Fahrverboten zu interpretieren und sieht sich bestätigt auf dem Wege eine bessere Infrastruktur zu schaffen. Ihr Dank richtet sich an die eigene Verwaltung.
Fragt sich nur, warum erst jetzt und warum wurden die ja schon lange im Raume stehenden infrastrukturellen Veränderungen bis heute nicht im Ansatz verwirklicht. Wobei die Deckelung der A40 ja aus ihren Reihen mit Ortstermin schon gefordert wurde, wir berichteten. Ob man tatsächlich das Essener Fahrradnetz alltagstauglich im Stadtgebiet und nicht nur für den Freizeitwert in der „Grünen Lunge“ ausbaut darf abgewartet werden. Es lohnt sich den geschlossenen Vergleich genauer zu lesen, denn er ist nicht der Teig, aus dem die Stadt Rosinen picken könnte. Klare Androhungen bei Nichteinhaltung von Grenzwerten schweben weiterhin über der Stadt, die im übrigen die Kosten des Verfahren zu tragen hat. Die klagende Deutsche Umwelthilfe könnte das Ergebnis mit Recht als Gewinn interpretieren, ist sie doch vertraglich quasi als Kontrollinstanz bestätigt, so hat die Stadt Abweichungen bei Meßwerten ihr direkt zu melden, was auch bereits zu festgelegte Konsequenzen aus diesem Vergleich führen würde.
„mit dem blauen Auge davon gekommen..“ wäre wohl zurecht eine treffende Beschreibung für die Lage der Essener Verwaltung.
Hier das gerichtliche Ergebnis:
Aktenzeichen: 8 A 4951/18 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 8 K 5068/15)
Der Verein „Deutsche Umwelthilfe“, das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Essen haben auf Vorschlag des Gerichts folgenden gerichtlichen
V e r g l e i c h
geschlossen:
Präambel:
Der Verein „Deutsche Umwelthilfe“, das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Essen sind sich einig in dem Bemühen, den Immissionsgrenzwert für NO2 (40 μg/m3 gemittelt auf das Jahr) so schnell wie möglich in der Stadt Essen einzuhalten. Dies soll vorrangig durch Maßnahmen zur nachhaltigen, umweltgerechten Veränderung der Verkehrssituation erreicht werden. Es sollen nicht nur kurzfristige, sondern auch mittel- und langfristige Maßnahmen ergriffen werden, um die Luftschadstoffbelastung kontinuierlich zu reduzieren. Die Beteiligten des Vergleichs erwarten von der Autoindustrie, dass sie ihrer Verantwortung gerecht wird und sobald wie möglich die Emissionen der Fahrzeuge reduziert, insbesondere auch durch Hardware-Nachrüstungen.
§ 1 Maßnahmenkonzept zur Einhaltung des Grenzwerts für NO2
(1) Zum Zwecke der schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwertes für NO2 (§ 3 Abs. 2 der 39. BImSchV) im Stadtgebiet Essen werden die im Maßnahmenpaket 1 aufgeführten Maßnahmen umgesetzt, auch soweit und solange sie nicht in den für Essen geltenden Luftreinhalteplan aufgenommen worden sind (planunabhängige Maßnahmen). Das Maßnahmenpaket 1 (Anlage 1) ist Bestandteil dieser Vereinbarung.
(2) Die Stadt Essen und das Land Nordrhein-Westfalen verpflichten sich, mit der Umsetzung der im Maßnahmenpaket 1 aufgeführten Maßnahmen fortzufahren bzw. unverzüglich zu beginnen und dabei den im Maßnahmenpaket 1 für die jeweiligen Maßnahmen enthaltenen Zeitplan zu beachten.
§ 2 Fortschreibung des für Essen geltenden Luftreinhalteplans
Die im Maßnahmenpaket 1 enthaltenen (planunabhängigen) Maßnahmen werden bei der anstehenden Fortschreibung des für Essen geltenden Luftreinhalteplans in den Luftreinhalteplan aufgenommen. Die Fortschreibung des für Essen geltenden Luftreinhalteplans ist bis spätestens zum 1. April 2020 abzuschließen.
§ 3 Wirkungskontrolle
(1) Das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet sich, fortlaufend die Wirkung der im Luftreinhalteplan festgesetzten Maßnahmen sowie der planunabhängigen Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 (Maßnahmenpaket 1) durch Messungen der NO2-Konzentration an den in Anlage 3 genannten Messstellen zu erfassen. Die Messergebnisse wird das Land Nordrhein-Westfalen monatlich dokumentieren und der Deutschen Umwelthilfe jeweils unverzüglich übermitteln. Das Land wird auch modellierte Werte im Rahmen der Wirkungskontrolle ermitteln und zur Verfügung stellen (spätestens im ersten Quartal 2021).
(2) Sollten der Deutschen Umwelthilfe Erkenntnisse darüber vorliegen, dass es auch an anderen Stellen im Stadtgebiet Essen Grenzwertüberschreitungen geben könnte, wird sie das Land Nordrhein-Westfalen darüber unverzüglich informieren. Das Land Nordrhein-Westfalen wird dies kurzfristig prüfen und ggf. weitere Messungen veranlassen.
(3) Das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet sich, bis zum 1. März eines jeden Jahres den Jahresmittelwert des vorangegangenen Jahres für alle vom Land Nordrhein-Westfalen in Essen betriebenen Messstellen festzustellen und der Deutschen Umwelthilfe unverzüglich zu übermitteln.
§ 4 Auffanglösung
(1) Wird nach der Feststellung des Jahresmittelwerts 2020 entsprechend § 3 Abs. 3 der Grenzwert für NO2 an einzelnen Messstellen überschritten, treten für diese Bereiche die im Maßnahmenpaket 2 (Anlage 2) aufgeführten Maßnahmen innerhalb der dort benannten Fristen in Kraft. Das Maßnahmenpaket 2 ist Bestandteil dieser Vereinbarung. Das Maßnahmenpaket 2 ist bei der Fortschreibung des für das
Stadtgebiet Essen geltenden Luftreinhalteplans nach § 2 als Auffanglösung in den Luftreinhalteplan aufzunehmen. Die für die Umsetzung des Maßnahmenpakets 2 erforderlichen Berechnungen und Prognosen sind bereits im Zusammenhang mit der Erstellung des Luftreinhalteplans vorzunehmen.
(2) Das Land Nordrhein-Westfalen ist sich sicher, dass die Grenzwerte für NO2 an allen vom Land Nordrhein-Westfalen in Essen betriebenen Messstellen (mit Ausnahme der Messstelle Essen/Frohnhausen an der BAB 40) bis Ende 2020, jedenfalls aber bis zum 30. Juni 2021 eingehalten werden. Sollten wider Erwarten die Grenzwerte für NO2 bis zum 30. Juni 2021 nicht eingehalten werden, werden sich die Deutsche Umwelthilfe und das Land Nordrhein-Westfalen kurzfristig zusammensetzen, um eine Lösung zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte zu finden. Sollten sich die beiden Beteiligten nicht auf kurzfristig wirksame Maßnahmen verständigen können, soll eine noch zu benennende „Schiedsstelle“ eine Empfehlung für eine Lösung aussprechen, an die beide Beteiligte gebunden sind, vorbehaltlich der Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Deutsche Umwelthilfe und das Land Nordrhein-Westfalen werden sich auf eine oder wahlweise drei Personen verständigen, die die „Schiedsstelle“ bilden.
§ 5 Maßnahmen für die BAB 40
(1) Das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet sich, sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland für eine Deckelung der BAB 40 in dem Bereich einzusetzen, in dem der für NO2 geltende Grenzwert überschritten wird. Die Deckelung soll dabei in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes aufgenommen und so schnell wie nach den einschlägigen planungsrechtlichen Grundlagen möglich in Angriff genommen werden. Die Deutsche Umwelthilfe und das Land Nordrhein-Westfalen sind sich darüber einig, dass während der Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2020 für die von der BAB 40 an der Hausackerstraße verursachte Immissionsbelastung keine Fahrverbote vorgesehen werden sollen. Kann bis zum 31. Dezember 2020 für die vorgenannte Maßnahme keine Regelung mit der Bundesrepublik Deutschland erzielt werden und ist zu diesem Zeitpunkt der für NO2 geltende Grenzwert nicht eingehalten, werden die Deutsche Umwelthilfe und das Land Nordrhein-Westfalen
Gespräche über Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwertes aufnehmen. Sollte in diesen Gesprächen keine Einigung erzielt werden, hält sich die Deutsche Umwelthilfe den Rechtsweg insoweit offen.
(2) Das Land Nordrhein-Westfalen behält sich vor, sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland für einen beschleunigten Ausbau der BAB 52 einzusetzen mit dem Ziel, eine Verkehrsentlastung auf den Innenstadtstraßen in Essen einschließlich der BAB 40 und damit eine Einhaltung des Grenzwertes an der Hausackerstraße zu erreichen; die Deutsche Umwelthilfe befürwortet diese Maßnahme nicht.
§ 6 Schlussvorschriften
(1) Die Aufnahme der vorgenannten Maßnahmen in den fortzuschreibenden Luftreinhalteplan steht unter dem Vorbehalt anderweitiger Erkenntnisse, die durch die Öffentlichkeitsbeteiligung gewonnen werden können.
(2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und zu 2., die diese jeweils selbst tragen.
Die Reaktion der oppsitionellen Essener Grünen
„„Der getroffene Vergleich beim OVG Münster ist zu begrüßen. Er unterstreicht, dass zur Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte ein Gesamtkonzept verschiedener Luftreinhaltemaßnahme erforderlich ist. Die Stadt geht hiermit die Verpflichtung ein, Maßnahmen über den bereits beschlossenen Luftreinhalteplan hinaus zu ergreifen. Dies ist auch ein Signal an die SPD und CDU im Essener Rat, unverzüglich mit der Umsetzung der Maßnahmen zu beginnen, um ein Dieselfahrverbot abzuwenden.
Durch den Vergleich bindet sich die Stadt, mehr Mittel für eine nachhaltige, umweltgerechte Veränderung der Verkehrssituation bereit zu stellen. Wir Grüne haben dementsprechend 10 Millionen Euro mehr für den Fuß- und Radverkehr und 8 Millionen Euro mehr für den öffentlichen Nahverkehr im Doppelhaushalt 2020/2021 gefordert. Leider wurden diese Anträge von der GroKo abgelehnt. Jetzt erwarten wir, dass Oberbürgermeister Thomas Kufen die notwendige Finanzierung der Maßnahmen sicherstellt.
Mehr denn je zeigt sich aber die Notwendigkeit eines starken Verkehrsdezernates, auf das in der nächsten Zeit viel Arbeit bei der zügigen Umsetzung der Maßnahmen zukommt.“
Bild und Kommentar stk, erle, Ergänzungstexte: Pm Grüne, Verfahrensunterlagen.