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Kommentar Wahlen

Sachsen-Anhalt ist nicht verloren

Es war eine Wahl mit ungewissem Ausgang. Etwas resigniert fürchteten die Altparteien das Ergebnis. Würde der Wähler sich in die Arme der Extremisten werfen? Ist überhaupt noch eine stabile demokratische Mitte zu finden? Die Überraschung zeigt einen politisch durchaus mündigen Bürger. Ministerpräsident Reiner Haseloff ging klar mit der Prämisse in den Wahlkampf keine Zusammenarbeit mit den politischen Rändern und der Bürger hat es ermöglicht. Haseloff hat nun die freie Wahl eine Koalition unterschiedlicher Struktur zu bilden. Enttäuschung nur dort, wo man überschwengliche Hoffnungen pflegte. SPD und Linke verloren in der Gunst der Wähler ebenso wie die Grünen ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreichten. Besonders bitter für eine SPD, die mit einem eigenen Kanzlerkandidaten ein Lehrstück in Selbstwahrnehmung erlebte. Das schlechteste Ergebnis der Partei in diesem Land lässt sich nicht durch die falsche Behauptung schönreden, dass der Wähler taktisch eben zu Haseloff geschwenkt sei. Die SPD hat nicht mehr die Substanz eine Volkspartei zu sein, denn ihr Klientel hätte zur Verhinderung der Rechtsaußen gut die eigene Partei wählen können, da eine Koalition ohnehin denkbar war. Die vom Verfassungsschutz beobachtete AfD hat ihr Ziel ohnehin verfehlt, der Abstand zur CDU ist im Vergleich zu 2016 größer geworden. Haseloff hat gute Chancen noch durch die Vernunft ansprechbare Wähler der Randpartei langfristig wieder aufzufangen. Der Wiedereinzug der FDP ist nicht verwunderlich, Coronapolitik und Klientelpolitik ließen sich in Stimmen ummünzen. Für die SPD dürfte Magdeburg aber eine traurige Vergewisserung sein, dass mit alten Strategien und Anbiederungen zwar Posten für etablierte Politiker kurzfristig zu sichern sind, was den engagierten Wähler aber eher zur Abkehr bewegt. Ein Weiterso käme dem Untergang der Traditionspartei entgegen. Die Bundestagswahl im Herbst wird von der Selbstbestimmung der Parteien abhängen, politische Besitzstände werden in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr haben und Bundesthemen sind mit der kleinsten Kommunalproblematik genauso verbunden wie eine europäische Politik über Ländergrenzen hinaus. Längst werden Normen im europäischen Kontext gesetzt, wo Bund, Land und Kommune reaktiv den Kompass neu justieren müssen. Oft zum Wohle des individuellen Bürgers, der über die hergebrachten Parteistrukturen seinen Willen nur noch bedingt einbringen kann. Freuen darf sich das Land aber über den mündigen Bürger, der als Wechselwähler seine Freiheit demonstriert und jede Verfilzung in alten Parteistrukturen die Stirn bieten kann.

(stk.)

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Corona Gesellschaft Kommentar

Jammerweihnacht 2020

Nun kommt wohl, was nach Ansicht ernstzunehmender Wissenschaftler schon lange hätte kommen sollen. Die strengere Gangart im öffentlichen Raum ist unabdingbar, denn in Anbetracht einer tödlichen Bedrohung ist das Setzen auf Freiwilligkeit und Einsicht eher eine waghalsige Hoffnung gewesen. Wenn Weihnacht als Zeit der Hoffnung von Gläubigen gesehen wird, bietet das Bild der Realität nicht nur in den Intensivstationen Ohnmacht und Elend. Dabei war die Entwicklung des Pandemiegeschehens vorhersehbar und auch durch den Vergleich mit Staaten, die eine frühere Entwicklung hatten, im Verlauf beschrieben. Der Föderalismus hat in der Bewältigung des Panademiegeschehens kein positives Bild gezeichnet. Dabei hätte man sich an anderen Staaten orientieren können, Südkorea hatte eine viel konsequentere Haltung eingenommen. Zwar hatte es auch dort Ausrutscher gegeben, wenn in Kirchen oder Nachtclubs unter dem Trieb der Vergesellschaftung wider alle Vernunft die Regeln nicht anerkannt wurden. Während wir uns nun eine Schockstarre über Weihnachten und Jahreswechsel verordnen, ist das öffentliche Leben in Südkorea kaum beeinträchtigt. Fragt man nach der Ursache für die Differenz, kommt man um eine Erkenntnis nicht herum, die Disziplin der Asiaten und die Einsicht in Notwendigkeiten sind ausgeprägter als in unserer Spaßkultur. Ein Phänomen ließ sich aber bei uns mit Beginn der Seuche beobachten. Vermeintliche Experten, als Politiker oder Verwaltungsfunktionsträger, traten wo immer möglich ins Rampenlicht oder setzten sich selbst über die sozialen Medien in Szene. Da konkurrierten dann Verwaltungsbeamte, Bürgermeister und Politiker mit Ratschlägen, „Erfolgsberichten“, gespickt mit den jeweils neuesten Zahlen „Wiedergenesener“ und Toten via Facebook, Twitter etc., um ja auf ihren Einsatz zu verweisen. Corona sprengte die Nachrichtenfesseln und führte zur persönlichen Kriegsberichtserstattung von der Pandemiefront. Müßig auf die Nachrichten der Tageszeitungen zu warten, wenn doch die neuesten Zahlen via Facebook von den Verwaltungsakteuren direkt abgeklickt werden können. Distanzen wurden in den Sozialen Medien, in denen das System die „Du-Befreundung“ schon vorgaukelt, vollständig aufgegeben. Das Buhlen um Gunst und Ansehen jenseits von Wahlkämpfen aus der „Macher“ Perspektive. Das die Freiheit des Politikers aber Distanz zu allzu wirtschafltich gedachten Bedenken benötigt, um auch unpopuläre Maßnahmen einfordern zu können, schien vergessen. Erst jetzt bringt das Leid der großen Zahl die Panik und entschuldigende Geste über das zurückliegende Zaudern und Taktieren. Nein, analysierend Zurückschauen möchte man nicht, die Gegenwart ist grausig genug, der Rückblick käme an der Frage des anfänglichen Versagens nicht vorbei.

Ich erinnere mich an den Beginn der Entwicklung. Ich kam gerade von Südkorea zurück, wo wir durch überall sichtbare Veränderungen und pausenlose Beiträge in Funk und Fernsehen auf die neuen Verhaltensnotwendigkeiten vorbereitet waren. Überall Desinfektionsmittel, selbst in Toiletten, die öffentlichen dort allgemein sauberer und kostenlos in größerer Zahl bereitstehend, als wir dies aus unserer heimischen Großstadt kennen. In Kaufhäusern, Hochhausfluren und Aufzügen, überall Menschen mit Masken. Weitgehend selbstgenähte, häufig modische Modelle, immerhin gehört es ich in Korea, daß man auf der Straße wohlgekleidet ist. Mir selbst fällt auf, daß mich Unbekannte auf einmal direkt in Koreanisch ansprechen, wo ansonsten das wohl mit englischen Vokabeln erfolgt wäre. Schnell erschließt sich mir mein Ansichtswechsel… Koreaner tragen auch im Alter Grau und nun fehlte die ansonsten dominante Nase des Europäers, elegant durch die Maske verdeckt. Der Wechsel nach Deutschland führt zu entsetztem Erstaunen. Bereits am Flughafen Menschengruppen in enger Zuwendung. Nein, Corona ist doch weit weg. Es folgen die Monate im Kompetenzgerangel und Freiheitsdiskussionen, die an philosophische Erstseminare erinnerten. Wenn der Eimer der Vernunft aber nun ein Loch hat, predigt selbst der/die Weise in die Wüste. Jochen Steffens Wort, „Junge, du wirst noch mal eine Zeit erleben, da wird nicht mehr regiert, da werden Mängel verwaltet.“ kommt mir in den Sinn. Als Schüler noch, traf ich auf ihn im Rahmen einer gesellschaftspolitischen Veranstaltung in der Essener Volkshochschule. Das von ihm beschriebene Szenario offenbart sich nun in der Krise. Die Politik wird in wichtigen Fragen handlungsunfähig, selbst da, wo in der Bevölkerung bei konkreter Umsetzung Verständnis zu erwarten wäre. Stattdessen dominieren Unvernünftige und agitierende Minderheiten die Leere.

In meiner Herkunftsfamilie hörte ich oft die Floskel, „ihr könnt da ohnehin nicht mitreden, ihr habt ja noch nichts mitgemacht.“ Die Alarmbereitschaft in den Bombennächten, das Bergen von Leichen aus zerbombten Kellern, nein, das entzieht sich unserer Vorstellungskraft. Ob sie, längst verstorben, heute die Belastung ausbleibenden Besuchs, oder das Maskentragen wohl beklagen würden? Klagen war ihnen ja bereits als Kinder aberzogen worden, aber ich bin sicher, sie wären furchtloser als viele Zeitgenossen, denn der Feind ist bekannt und man kann handeln. Die Freiheit zur Handlung statt diffuser Ängste. Die Einsicht in das Notwendige der Handlung, das kein Zaudern duldet. Es ist die Kraft, die ich nicht im Verhalten vieler Politiker wiederfinde. Das Jammern der Einzelnen temporär nicht allein sein zu können, die Abhängigkeit vonfortwährender Vergesellschaftung, es ist symptomatisch für die Leere in einer Überflußgesellschaft, die dem Einzelnen den Anreiz zur Entwicklung einer selbständigen Persönlichkeit nimmt.

Ende Januar werden wir den interkulturellen Vergleich mit Korea fortsetzen können. Das notwendige C1 Visum zur Einreise ist durch das koreanische Justizministerium erteilt und gleich der Verhaltenskatalog unterschrieben, der uns eine 14-tägige häusliche Meditation vorschreibt. Bekannte, die in normalen Zeiten gerne mal zwei Wochen eine Auszeit in einem Kloster in der koreanischen Bergwelt nahmen, hätten derzeit keine Möglichkeit, Korea verweigert konsequent Besuchsreisen. Den Weisungen folgend werden wir also vom Flughafen aus auf dem Hintersitz eines Fahrzeugs, nicht sprechend und mit Maske unseren Zielord ansteuern und dort unsere Wohnung nicht verlassen. Die Literatur ist bereits ausgewählt und es wird sicherlich eine entspannte Zeit, bevor wir Ihnen dann weitere drei Wochen einen Einblick in den koreanischen Alltag unter Pandemiebedingungen übermitteln werden.

Bleiben Sie gesund, oder wie wir es in Ostfriesland zu sagen pflegen: Hol di munter. Zuversicht ist auch in der Krise die stärkste Kraft.

(stk)

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Corona Kommentar

Was gilt es zu schützen?

„Weitere Einschränkungen können zu einer ablehnenden Haltung in der Bevölkerung führen…“ diesen Satz konnte man bei der Verkündung neuer Einschränkungsempfehlungen vernehmen. Welcher interessegeleitete Entschluß wird mit dieser Aussage demonstriert? Sind notwendige und auf wissenschaftlicher Basis sinnvolle Entscheidungen jetzt nur noch auf dem Hintergrund von Akzeptanz der Massen zu fällen? Derzeit überbieten sich Lokalkommentatoren in der Bewertung der Sinnhaftigkeit von Sanktionen, die auf das Anschnellen der Coronaraten getroffen werden. Ökonomische und soziale Faktoren bekommen nach den Erfahrungen der ersten Coronawelle mehr Aufmerksamkeit und gewinnen an Bedeutung in allen Entscheidungen. Gleichzeitig geraten in dieser Konstellation Politiker in die Rolle von ethischen Entscheidungsträgern. Wieviel Risiko kann und darf ich politisch rechtfertigen ohne die Grundrechte des einzelnen Bürgers auf Schutz und gesundheitliche Unversehrtheit zu verletzen? Können letztere überhaupt nach dem Prinzip der Massenabstimmung mit beliebigem Ausgang herbeigeführt werden, oder ist die „Unantastbarkeit des Einzelnen“ eine unhintergehbare Schranke, für die der gewählte Politiker ohne Interessenabwägung sonstiger Neigungen einzustehen hat? Ein Blick nach Asien sollte nachdenklich machen und sich nicht auf Länder ohne demokratischer Grundordnung beschränken. Südkorea hat in beispielhafter Weise schnell und äußerst konsequent auf die aufkommende Pandemie reagiert. Ergebnis ist eine vergleichsweise geringe Todesrate und eine landesweite Akzeptanz der von der Regierung zentral vorgegebenen Verhaltensanforderungen. Disziplin ist ein Wesensmerkmal in der demokratischen Gesellschaft, um die in Korea die Regierung nicht buhlen muß. Man empfindet keine Verletzung des Datenschutzes, wenn das leibliche Wohl und Überleben von Menschen Transparenz erfordert. Letztlich muß jeder Verantwortliche als Bürger oder Politiker sich der ethischen Bedingungen vergewissern um nicht in die Diktatur von ökonomischen und sozialen Wunsch- und Gewinnerwartungen zu steuern. Längst geht es nicht mehr ausschließlich um den Verlust von Existenzen, die Fiktion eines Grundanspruchs auf das hemmungslose Ausleben von „sozialen Happenings“ wird medial unkritisch als hinzunehmende Gegebenheit transportiert. Das sich nicht Allein-Ertragen können, das Fliehen aus der häuslichen Umgebung über alle Maßen sind beobachtbare persönliche Defizite, die zu einer Anspruchserwartung verleiten und jeden Politier in der Freiheit seiner Entscheidung hemmen, wenn sie doch der Erwartungshaltung seines Wahlklientels widerspricht. Ergebnis sind zögerliches Urteil und zaghafte Handlung, Erklärungsbedarf und Rechtfertigungszwang, die der Bedrohung durch das Virus und dem Schutz aller Menschen nicht gerecht werden.

Hier soll nicht der obrigkeitsstaatlichen Machtausübung das Wort geredet werden, Politik muß kontrolliert und auch kritisiert werden, sie muß transparent sein und sich verantworten, aber sie muß auch systemadäquat handlungsfähig bleiben. Derzeitig kann ich mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass das politische Geschehen mehr Kraft auf die Erlangung der Wählergunst, als auf die notwendige Durchsetzung von Schutzmaßnahmen im Interesse aller Bürger fordert. Wenn inzwischen die Großstädte in Deutschland zu Risikozonen werden und eine Flächenausbreitung erfolgt, wird der gesamtwirtschaftliche Schaden sich nicht mehr am Scheitern des nächstgelegenen Kneipenwirts messen lassen. In vielen Staaten der Welt geht es schon lange nicht mehr um den Lustfaktor Freizeit und soziale Animation, der Hunger und infolge das Aufkommen hierdurch bedingter Krankheiten führen in den stillen Tod der Schwächsten jener Gesellschaften. Corona ist eine Wendezeit, in der unsere Wertvorstellungen auf dem Prüfstein stehen.